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„Natur im Blick"

- so hieß eine Ausstellung auf Schloss Cappenberg im Winter 2004/2005, die ich aus organisatorischen Gründen leider nur mit drei Schülern der Kunst-AG in den Ferien besuchen konnte. Die Ausstellung vereinte eine Vielzahl von Zugriffs- und Darstellungsweisen zum Thema Natur, angefangen von Zusammenstellungen gepresster Holunderblüten über abstrakte oder konservativ-gegenständliche Landschafts- und Blumenbilder, über Großaufnahmen rätselhaft zeichenhafter Kartoffelschälabfälle bis zu Timm Ullrichs hinterlistigen Filmentwicklungs-„Sonnenuntergangslandschaften". Natur wird unmittelbar als Bildmaterial verwendet, wird (um-)gedeutet, wird abstrahiert, wird malend nachgebildet, wird vorgetäuscht.

Die drei Besucher berichteten den anderen Kindern kurz von der vielfältigen Ausstellung. Dann erhalten alle den Auftrag, ein Bild zum Thema „Natur" zu machen mit dem, was sie auf und neben dem Schulhof an Natur finden. Einschränkung: Es darf nichts abgerissen werden. Die Pflanzen sollen nicht unter unserem Sammeln und Experimentieren leiden müssen. Die Schüler schwärmen aus und bringen an: Zweige, Steine, Blätter, Sand, einen Kronkorken, verschiedenfarbige Glassplitter, zertretene und angefaulte Pflanzenteile, Baumsamen, einen winzigen Knochen, ein Vogelnest (aber nur als Idee; um es nachzuarbeiten, sammeln sie Reiser). Sie überlegen und erproben Bildgestaltungen, die anschließend im Klassenraum realisiert werden.

Robert (1. Jg) hat seine Fundstücke so angeordnet und die Absicht geäußert, das Gebilde nun abzuzeichnen. Was er jedoch tut, ist kein bloßes Abzeichnen, sondern quasi die Übersetzung seines Bildes:

Kleine Zweige stellen sich selbst als Baumgeäst dar, ein flacher Stein wird darin zum Baumhaus, der Kronkorken zur Tür, Steine zur Leiter. Die Zeichnung erklärt das Materialbild, so dass nun auch der bisher „blinde"  Betrachter (z. B. ich) erkennt, was hier gemeint ist.

Rekonstruktionsbilder (s. rechts): Die farbigen Glassplitter wurden bildlich zu Flaschen ergänzt, die gefallenen Blätter wieder in ein Baumbild integriert. (Daniela, 4. Jg.)
Ähnlich dachte Patricia (3. Jg.), als sie aus dem gefundenen winzigen Knochen ein Bildes seiner Herkunft entwickelte: Sie fügte ihn als Hinterbeinknochen in das gemalte Bild einer Maus ein.

Weitere Schülerarbeiten (leider fehlte der Fotoapparat):
- Pieksige Aststücke werden in kleinere pieksige Stückchen gebrochen und im Zickzack zum „Krokodil" gelegt.
- Das besagte Vogelnest wird als Gegenstand nachgearbeitet.

Ohne Einschränkung durch den sonst gewohnten konkreteren Bildauftrag entstanden individuelle, fantasievolle und inhaltsreiche Arbeiten. Indem ich mir die Unvorgeschriebenheit der verschiedenen Herangehensweisen der Künstler zum Vorbild genommen hatte, konnte ich den Kindern freieren Lauf lassen als sonst und ihre Werke so würdigen, wie die Kinder sie erdacht hatten, und ggf. Weiterentwicklungsmöglichkeiten empfehlen, die sich auf die Arbeit des einzelnen Kindes bezogen. Erstmals hatte ich wirklich das Berater-im-Hintergrund-Erlebnis! Neben den inhaltlichen Beratungen bestand meine Hauptaufgabe im Bereitstellen der Hilfsmaterialien (welche Klebe für welchen Zweck?), eine wünschenswerte Umkehrung des sonstigen Vorgehens: Lehrer gibt das Ziel vor, Kinder versuchen es zu verfolgen. Jetzt: Kinder setzen sich ihr eigenes Ziel und bitten Lehrer unterwegs um den einen oder anderen „Wanderstab" oder „Busfahrplan".

Es war eine für Schüler und Lehrer befriedigende und motivierende Stunde, in der sich zeigte, wie kreativ die Kinder tatsächlich sind, wenn man sie nicht von vornherein in eine lehrervorgedachte Richtung lenkt. Trotzdem blieb das Künstlerische und Bewusste nicht auf der Strecke: Die verschiedenen Vorgehensweisen und Ideen wurden anhand der entstandenen Bilder der Klasse vorgestellt und so bestand die Chance, das Ideenrepertoire aller Kinder zu erweitern. In dieser Richtung möchte ich weiterarbeiten.
(Siehe Thema "Einkaufswagen" auf der Startseite.)

Literatur:

Ausstellungskatalog Cappenberg

Voermanek, Eva/Wissmann, Silke (Hg.): Wie geht Kunst? Künstlerische Prozesse bei SchülerInnen und LehrerInnen. Kassel 2004

Kathke, Petra: Kunst in der Grundschule. Ein Rahmen(lehr)plan für drei Länder: Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. In: BDK-Mitteilungen, Fachzeitschrift des BDK Fachverbandes für Kunstpädagogik, Heft 1/05, Hannover 2005

Kunst+Unterricht Heft 289 "Pflanzen" und Heft 290 "Material kompakt: Pflanzen", Seelze 2005