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“Tannenbäume”

Mit meinen Lehreranwärterinnen im Studienseminar erarbeitete ich die Grobplanung: Einstieg mit Mind Map -->
 sowie mit traditionsnahen und/oder traditionsfernen Anschauungs-Weihnachtsbäumen und -derivaten. Anschließend freie bildnerische Arbeit zum Thema.

In der Vorweihnachtszeit ist der Kunstunterricht im Dilemma: Was kann man zum aktuellen Thema machen, ohne als Basteldienstleister missbraucht zu werden?

Inspiration gewährt die Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe mit ihrer jährlichen Weihnachtsbaumausstellung unter dem vielversprechend-beunruhigenden Titel „Oh Tannenbaum!“.

Neben unserem traditionellen Weihnachtsbaum im Schulflur baute ich eine Geschenk(attrappen)pyramide auf. Im Stuhlhalbkreis um den Baum herum behauptete ich, es gäbe hier zwei Tannenbäume. Dann präsentierte ich nach und nach weitere „Tannenbäume“: einen auf den ersten Blick einleuchtenden Kerzenwachsbaum, einen schon etwas irritierenderen „Nadel-Holz-Baum“, eine grüne Seifenschale aus weichem Gummi mit Noppen, eine grüne Batterie. Ausgehend vom „richtigen“ Weihnachtsbaum gingen wir so immer einen Schritt weiter in Richtung Abstraktion und Konzept. Um dies noch einmal deutlich werden zu lassen, bat ich die Kinder anschließend, die behaupteten „Weihnachtsbäume“ in eine Reihenfolge zu bringen: Welcher war am nächsten dran am echten Tannenbaum und welcher am weitesten entfernt? Die Reihung wurde per Mehrheitsentscheid vorgenommen, denn nicht immer wurde die Reihenfolge ganz so von allen Kindern empfunden; einige fanden z. B. die Seifenschale tannenbaumiger als das Holz-Nadel-Teil. Was natürlich durchaus legitim ist, weshalb ich auch betonte, dass die Reihung nicht absolut gültig ist, sondern teilweise durchaus individuell unterschiedlich empfunden werden kann. Deutlich wurde auf jeden Fall, dass man in der Erfindung einer Tannenbaumvariation nah am Vorbild sein kann oder auch weit davon entfernt.

Durch die Präsentation der unterschiedlichen Abstraktionsabstufungen hatten die Kinder keinerlei Bedenken, am Schluss auch die Batterie als eine Art Tannenbaumzeichen zu deuten. Ich fragte sie, was sie wohl gesagt hätten, wenn ich ihnen die Batterie zuerst präsentiert und behauptet hätte, dies sei ein Tannenbaum. Ob sie mich dann wohl für verrückt erklärt hätten. Dies schien ihnen doch ziemlich wahrscheinlich.

Aufgabe für die Kinder war nun, selbst einen ungewöhnlichen „Tannenbaum“ zu erfinden, der „nicht zu nah“ am Standardtannenbaum ist, denn dann wäre es nicht spannend und nicht staunenswert. Man würde ihn sofort erkennen und sagen, na klar, Tannenbaum. In der Kunst – insbesondere der zeitgenössischen – ist es aber oft so, dass man zuerst einmal denkt: „Hä? Was soll das?“, und erst, wenn man sich mit der Sache näher befasst, erkennt man etwas, findet Zusammenhänge, deutet, sieht die Dinge neu und anders. Dies ist eine typische Eigenschaft von Kunst: die Sicht auf die Welt zu verändern.

Allerdings sollten die Tannenbaum-Erfindungen auch nicht zu weit vom Tannenbaum entfernt sein. „Nicht zu weit“ meinte: so, dass man noch Zusammenhänge finden kann, eventuell auch mit Erläuterungen des Erfinders. Hierdurch sollten sowohl die Beliebigkeit (keine oder nur minimale Beziehung mehr zum Ursprung) als auch die Unverständlichkeit und Unzugänglichkeit durch die Betrachter vermieden werden. Unverständlichkeit würde das lustvolle „Ach so!“- oder „Ach ja, stimmt!“-Erlebnis des Betrachters verhindern. Die Übergänge zwischen spannenden, widerständigen und unverständlichen Kunstwerken sind natürlich fließend und in hohem Maße subjektiv. Demnach kann auch nicht letztgültig festgelegt werden, ab wann eine Idee „zu weit“ vom Tannenbaum entfernt ist. Aber einen Anhaltspunkt für die Ideensuche kann diese Formulierung dennoch sein.

Plötzlich hatte auch die Tür Ähnlichkeit mit dem Weihnachtsbaum: Holz in der Mitte, außen herum Grün.

Gehäkelte Luftmaschenkette auf Holzplatte gepinnt

Windrad

Brennnessel, winterlich vertrocknet

Dreiecksmobile

Nikolausmützen und Nikolausstiefel

Stabile aus Tonkarton und Holzleiste

Weihnachtsuhr
(weil am Heiligabend die Zeit bis zur Beschereung so langsam vergeht)

Frau mit spitzer Mütze und drahtverstärkten Haar-Zweigen

Schuhbaum
(weil man am Nikolausabend Schuhe vor die Tür stellt für die Nikolausgaben)

Holz und Tannennadeln = Tannenbaum

Dieses Werk hat geradezu Beuys´sche Qualität: Man muss dazusagen: Bitte nicht aufräumen und saubermachen: Das ist Kunst! ;-)

Copyright © Unterrichtsidee: Nicola Rother 2009