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"Alle gucken immer hier rein!"
Die Situation wird Thema der Fenstergestaltung

Die Klassenlehrerin einer 4. Klasse, in der ich zukünftig Kunst unterrichten sollte, bat mich: "Könntet ihr etwas für die Fenster machen? Da gucken immer alle Leute rein. Unsere Klasse ist ja im Erdgeschoss am Hauptweg." Meine erste Reaktion: "Äh, ich mache eigentlich keine Fensterbilder..."

Mein zweiter Gedanke aber: Aus der Situation kann man doch was machen!
Wir machen sie zum Thema für die Fenster-Bilder!

Mein Plan war, verschiedene Aspekte des In-ein-Fenster-Reinguckens sowie des Begucktwerdens mit den Kindern zu beleuchten. Aus den dabei angestellten Überlegungen, gemachten Erfahrungen und gewonnenen Einsichten sollten die Kinder eigene Bild-Ideen entwickeln.

"Geht weg, ihr neugierigen Hühner!"

In der Erkundungsphase machten wir zum Beispiel Fotos von draußen, um die Mischung aus Einblick und Spiegelung zu erfahren, die man - meist unbewusst - sieht, wenn man von außen durch ein Fenster in einen Raum schaut. Auch zu der Äußerung einer Schülerin, dass manche Leute gar nicht reingucken wollen, sondern sich nur selbst im Fenster spiegeln wollen, passt hierzu hervorragend. Gern hätte ich diesen Gedanken noch kunstunterrichtlich weiter verfolgt...

Eine weitere Aufgabe zur Erkundung war das Zeichnen der Dinge, die man von außen von einem bestimmten Standpunkt aus sehen kann. Diese Zeichnungen wurden später in die Bilder integriert.

Dazu sollten Kunstbeispiele, die in Zusammenhang mit dem Thema stehen, ebenfalls anregend wirken. Insbesondere die Magritte-Bilder machten deutlich, was es bedeutet, "mit Erwartungen zu spielen, sie zu erfüllen oder sie zu enttäuschen" und wie man das machen kann.

Im Verlauf des Unterrichts zeigte sich jedoch, dass ich die Kinder mit diesem hohen konzeptuellen Anspruch und der Erwartung, sie könnten daraus selbstständig und individuell aussagekräftige künstlerische Ideen entwickeln, überfordert hatte.

Daher entwickelten wir gemeinsam eine Bild-Idee aus den Ansätzen, die die Kinder nach der genannten Vorarbeit dazu einbrachten.

Es schien mir richtig, die Kinder nicht nur nach meiner Pfeife auf dem hohen Seil tanzen zu lassen, sondern ihre – aus meiner Sicht konventionelleren – Vorstellungen genauso ernst zu nehmen. Dies war der Versuch, eine Verbindung zwischen der Gedanken- und Bilderwelt der Kinder und meinen unterrichtlichen Absichten herzustellen. Ich bin noch unschlüssig, wie weit dies gelungen ist.

Leider haben die Kinder oft trotz der intensiven Ansage, GROSS zu zeichnen, die Personen, Tiere und sonstige Bildgegenstände zu klein gezeichnet, so dass sie schwer zu erkennen sind. Auch die räumlichen Bezüge der Protagonisten zueinander waren nicht immer leicht und eindeutig herzustellen. Bei den Sprechblasen jedoch gab es kein Pardon: Sie mussten so oft neu begonnen werden, bis sie groß genug geschrieben, lesbar und fehlerfrei waren.

Die Idee der Kinder war: "Ein Tier guckt von außen in die Klasse rein." Dies entwickelten wir im Unterrichtsgespräch weiter: "Die Kinder in der Klasse rufen dem Tier zu, dass das Reingucken stört." So kann man den tatsächlich hereinguckenden Menschen quasi durch die Blume mitteilen, dass sie stören. Wir sammelten Ideen, was die Kinder auf den Bildern sagen könnten, das nicht zu frech, aber auch nicht unbedingt zu brav ist. Es ergab sich, dass man durch die Verwendung des Tiers auf dem Bild nun Ausdrücke benutzen konnte, die man den reinguckenden Menschen nicht direkt an den Kopf werfen dürfte: Schweinchen, neugierige Hühner, oder dem ohnehin langohrigen Hasen anzudrohen, man würde ihm die Ohren langziehen. Oder jemanden als "Langnase" bezeichnen, der tatsächlich eine lange Nase hat, zum Beispiel ein Elefant.

"Hey Baum, bitte nicht reingucken, wir arbeiten!"

Einzelne Bestandteile der Bildszene wurden auf Transparantpapier und auf normales Papier gezeichnet und dann durch Aufeinanderlegen kombiniert. Damit konnte man einerseits darstellen, dass das hereinschauende Tier vor bzw. hinter einer transparenten Glasscheibe steht. Außerdem war es möglich, einzelne Bildbestandteile zu korrigieren, mehrere Versuche dazu zu machen, ohne dass gleich das ganze Bild neu gezeichnet werden musste.

Symbole für das Reingucken – hauptsächlich Augen und Brillen – wurden in Serie gedruckt und als Bildumrandung eingesetzt.

Die Bilder und Sprechblasen weckten deutlich das Interesse der Vorbeigehenden. Wir stellten fest, dass wir die Botschaft "Nicht reingucken!" gesendet und gleichzeitig damit die Blicke verstärkt angezogen hatten.

© Unterrichtsidee: Nicola Rother 2015