Das höchste aller Ziele im Kunstunterricht:
die Kinder zu eigenen Ideen zu bringen.
Die schwierigste aller Fragen: wie?

Sehr gute Impulse gibt die Seite “kultur-forscher”. Sehr schwierig bleibt es dennoch. Ich befinde mich weiterhin auf einem vorsichtig tastenden Weg, schwankend zwischen Führung und Offenheit mit den gefürchteten Extremen “Schüler illustrieren Lehrerideen” und “Macht, wat ihr wollt - Unsinn wird et ja doch” (frei nach der “Feuerzangenbowle”).

In diesem Fall hatte ich öfter den Eindruck, in beide Fallen gleichzeitig getappt zu sein, indem ich eine sehr abstrakte Aufgabenstellung mit einer gelenkten Vor- und Zuarbeit verbunden habe.

Ursprünglich war mein Plan, dass die Kinder am Ende dieser Unterrichtsreihe – wie in der Einheit zum “Kuscheltier” – eine eigene Idee zum Thema entwickeln und umsetzen.
Dabei wollte ich jedoch dem Entstehen von Fantasieflugzeugen und -tieren vorbeugen, die den Kindern so nahe liegen, dass es dazu keinen Kunstunterricht braucht. Ich befürchtete, dass die Kinder dabei in gewohnte Gestaltungsweisen zurückfallen würden, anstatt die im Verlauf des Unterrichts thematisch und formal erweiterten Aspekte aufzugreifen und zu nutzen.

Die Aufgabenstellung legte ungegenständliche Lösungen nahe und knüpfte damit an den hohen Anspruch der Sequenz “Flugversuche” an. Die “eigene Idee” sollte sich auf das selbstbestimmte Finden eines individuell wichtigen Aspekts des Fliegens beziehen.

Die Aufgabenstellung war interpretationsoffen formuliert, um eigene Anknüpfungspunkte zu ermöglichen. Sie bietet aber wenig Anhaltspunkte, anhand derer sich die entstandenen Gebilde analysieren und auch begründen lassen, und lässt die Kinder so in einer gewissen Sprachlosigkeit. Sie birgt Beliebigkeitsgefahr, denn alles, was man mit den gesammelten Materialien macht, sieht voraussichtlich irgendwie wild und kunstmäßig aus, ist aber vielleicht inhaltsleer und ohne wirkliche Absicht entstanden.

Um den Kindern einen formalen Halt und ein Gerüst im wahrsten Sinne zu geben, schienen mir die gesammelten Drahtkleiderbügel gut geeignet: verformbar, dünn und leicht wie Vogelknochen und daher mit den Flugmaterialien sowohl thematisch als auch technisch gut zu verbinden. Aber hatte ich hier nicht schon wieder zu viel vorgedacht?

www.nicola-rother.de

“fliegen”
5. Schritt:
Mein Objekt

Jette: “Das soll sich drehen und dann so abstehen.” Meine Frage: “Warum sind Knoten in der Folie?” Jettes Antwort: “Das sollte nicht so glatt runterhängen. Es sollte so sein wie beim Menschen. Der Körper vom Menschen ist ja auch nicht überall glatt, sondern so unterschiedlich mit Verdickungen. Darum sollte das auch so sein.”

   Aufgabe:
   Erfinde ein Objekt (ein Gebilde), das…
– darstellt, wie das Fliegen ist.
– nicht etwas ist, das es schon gibt
   (kein Gegenstand, kein Lebewesen,
   kein bekanntes Zeichen).

In der inhaltlichen und gestalterischen Füllung dieses “wie das Fliegen ist” lag der Anspruch an die Kinder.

Die bisherige Vorarbeit in der Unterrichtseinheit sollte ihnen dazu Anregung und Hilfestellung geben. Um sie uns vor Augen zu führen, versammelten wir uns vor der kleinen Ausstellung, die an die verschiedenen Schritte und Aspekte erinnerte.

Lege ich hier zu viel Gewicht auf die rationale Begründbarkeit und verbale Erklärbarkeit? Genügen Intuition und “mehr spüren als wissen”?

Aussagen wie die von Jette, Elias und anderen müssten meine Bedenken doch eigentlich entkräften.

Damit der Bügel nicht mehr wie ein Bügel aussieht: Verbieg ihn, veränder ihn, bis du findest, dass die neue Form so richtig ist.

Auf jeden Fall braucht es begleitendes Kunstfutter. So gab es in loser Folge Begegnungen mit Nikolaus Koliusis, Mona Ardeleanu, Eva Hesse und Gego. Dabei wurden keine Bezüge zum Flugthema angesprochen, doch hatte ich die Arbeiten natürlich durchaus im Hinblick auf die Aufgabenstellung ausgewählt: Die Kinder sollten ermutigt werden, derartige Gebilde als Kunst wahrzunehmen und dabei nicht auf gegenständliche Assoziationen angewiesen zu sein. Auch sollten sie Anregungen zu Materialverbindungen und -verarbeitungen bekommen. Im Nachhinein kamen mir jedoch Zweifel, ob die gezeigten Kunstwerke nicht doch zu nah an dem waren, was als Ergebnisse der Kinder zu erwarten bzw. in etwa angestrebt war.

Um Materialsammelsurien zu vermeiden, bekam jedes Kind ein anderes Hauptmaterial zugelost. Ziel: individuelle experimentelle Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten
des jeweiligen Materials, Entstehen unterschiedlicher Umgehensweisen,
 Ideenfindungen und Ergebnisse.(Literatur hatte mitgewirkt.)
Zunächst hatte ich, um die Kinder nicht zu sehr einzuschränken, das Verwenden von
ein bis zwei weiteren Materialien angeboten. Die erwies sich aber bald als kontraproduktiv, denn das Hauptmaterial geriet dadurch zu schnell aus dem Blick, zugunsten “liebreizenderer”, also optisch ansprechender oder einfacher zu
verarbeitender Materialien. Also gab es einen Neustart mit der Devise, nur das eine Material zu verwenden. Ausnahmen bedurften besonderer Begründung.
Um die Suche nach geigneten Verbindungstechniken zu fördern, war das Kleben von vornherein verboten. (Zum Aspekt “Restriktionen” gibt es einen hervorragenden Text.)

Dass die entstandenen Objekte eine Nähe zum Fliegen haben, sieht man ihnen an. Diese Anmutung wird schon durch die themenbezogene Materialwahl und durch das Draht(bügel)gerüst nahegelegt. Der Anteil bewusster Gestaltungstätigkeit und -absicht, der Experimentier-Erfahrung und -Erkenntnis ist jedoch sehr unterschiedlich. Zwar ist dies grundsätzlich beim Arbeiten im Kunstunterricht der Fall, doch nagt diesmal – trotz einiger für mich überraschend überzeugender Äußerungen der Kinder zu ihren Arbeiten und vermutlich bedingt durch meinen zu hohen Anspruch an alle Beteiligten, mich eingeschlossen – weiterhin der oben angesprochene Zweifel an mir und das Grübeln, was ich im Unterricht hätte anders und besser machen können, dauert an.

Das kann ja für die Zukunft nicht schaden.

Tristan: Kugel aus Pusteblumensamen, die durch Luftzug zum Teil herunterschweben
(Pusteblumensamen auf Polyestervlies)

Elias: “Auf dem Fußgängerweg kann man ja nicht nach oben und nicht nach unten. Aber in der Luft kann man das. Darum sollte das so hochstehen.
Ich wollte, dass es mehr aussieht, als würde in der Luft alles durcheinander verwirbelt.
Ich hatte ein gutes Material, weil ich es zerreißen und zerschneiden kann.
Der Draht hat auch was zu bedeuten, weil es mehr Verwirrung sein soll, darum ist das durcheinandergewickelt. Ich dachte, ein bisschen mehr Verwirrung wäre gut, und damit konnte ich auch gleich die Verbindung herstellen, dass das hochsteht.”
(Luftpolsterkissen)

Nika: “Es soll darstellen, wie die Luft strömt.”
(Trinkhalmhüllen vom Schulkakao)

Tjark: “Ich habe viel von dem bunten Papier wie im Fliegen aufgestochert. Hier steht das hoch, da hab ich mir gedacht, dass das dann aussieht wie fliegen. Die Papiere rutschen hin und her; beim Fliegen bewegt man sich auch nach vorne.”
(Mon-Cheri-Einwickelpapier)

Lukas
(Styroporchips)

Jane: Das Kribbeln im Bauch
(Schleifenband)

Moritz: “Das ist wie Bälle, die fliegen ja. Eigentlich fliegt ja alles daran so hin und her, der Draht, das Papier.”
(geschreddertes Papier aus dem Aktenvernichter im Sekretariat)

Mira: “Das sah erst zu sehr nach Vogel aus, darum hab ich noch eine Lage drübergemacht, dann es immer noch ein Fluggerät, aber kein Vogel mehr. Ein bisschen ist es auch wie ein Fallschirm.”
(Draht, Alufolie)

Josi: “Ich habe eine Stelle offengelassen, damit das hier ein bisschen Luft hat, damit in die Rillen Luft kommt und sich alles aufbläst. Wenn es die Lücke hat, füllt sich das, dann geht es wie ein Luftballon hoch; wenn der aufgeblasen wird, geht der auch so hoch.”
(Pralinenschachtelpolsterpapier)

Jasmin: “Die Watte ist erst in den Hülsen drin und dann fällt die so raus und fliegt nach unten.”
(Pralinenschachtelinlay, Watte)

Larissa: “Das kann sich beim Fliegen tarnen in den Wolken, dass es keiner sehen kann oder angreifen.”
(Watte)

Robin: “Wenn der Wind kommt, fliegt das. Man kann das gar nicht erkennen und wundert sich: ,Was kann das denn sein?’ Aber man könnte es als eine dicke, weiße Wolke bezeichnen.” (Anmerkung: Aussage vor dem Besprühen mit Farbe, Foto  danach)
(Papier)

Das Besprühen mit der “Flugfarbe”, die nicht direkt mit dem Objekt, sondern mit dem eigenen Fluggefühl zusammenhängt, veränderte den Charakter der Arbeiten in unterschiedlichem Maße.

© Unterrichtsidee: Nicola Rother 2014


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